Neue Studie: Kein Hunger durch hohe Weltagrarpreise – Biodiesel und Bioethanol taugen nicht als Sündenböcke

Berlin, 23. Februar 2012 – Die einfache Formel "Hunger entsteht durch hohe Preise auf den Weltagrarmärkten" ist falsch. Deutlich überschätzt werden zudem die Auswirkungen auf die Weltmarktpreise durch die Herstellung von Rohstoffen für die Biokraftstoffproduktion. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Studie des Giessener Agrarökonomen Prof. Michael Schmitz. Vielfach sind die Weltmärkte abgekoppelt von den lokalen Handelsplätzen, auf denen sich die hungernden Menschen mit Lebensmitteln eindecken. Preisschwankungen auf den Weltmärkten führen daher nicht automatisch zu Schwankungen der Preise in Entwicklungsländern. „Regierungen betreiben oft eigene Handels- und Preispolitiken, die verhindern, dass hohe oder auch niedrige Weltmarktpreise die lokalen Märkte erreichen. Außerdem können hohe Transportkosten bei fehlender Infrastruktur die Weltmarktanbindung der heimischen Märkte völlig verhindern“, sagte Schmitz. Er wies darauf hin, dass sich die Menschen in vielen armen Ländern nicht von international handelbaren Gütern ernähren. „Sie greifen auf im Lande hergestellte, nicht-handelbare Nahrungsmittel zurück, wie Cassava, Sorghum und Hirse. Deshalb sind sie von den Vorgängen am Weltmarkt kaum betroffen“.

Die Produktion von Biokraftstoffen habe nach der Studie zwar einen Einfluss auf die Preise an den Agrarrohstoffmärkten. Uneinig seien sich die Wissenschaftler bisher darüber, wie groß die Rolle von Biokraftstoffen bei der Preisentwicklung tatsächlich ist. „Angesichts der wissenschaftlichen Unsicherheiten ist Vorsicht geboten, wenn man Biodiesel und Bioethanol als Sündenbock für steigende Weltagrarpreise abstempelt – dies geht an der Realität vorbei“, sagte Schmitz. „Die weltweite Nachfrage nach Biodiesel und Bioethanol ist also weder ursächlich noch maßgeblich für den globalen Hunger.“

Die wissenschaftliche Diskussion um die Gründe für Hunger habe in den vergangenen Jahren eine merkwürdige Entwicklung genommen. Bis vor wenigen Jahren hätten namhafte internationale Institutionen wie die Welternährungsorganisation (FAO) oder die OECD erklärt, dass niedrige Weltagrarpreise maßgeblich zu Hunger und Armut beitragen. Diese seien durch die Exportpolitik der Industrieländer hervorgerufen worden. Niedrige Preise zerstörten die wirtschaftliche Grundlage für die Landwirtschaft in Entwicklungsländern, was Armut und Hunger verursacht habe. Dieselben Institutionen geben seit der Hungerkrise in den Jahren 2007/2008 hohe Preise als Grund für Mangelernährung und Hunger an. Die Hungerkrise war unter anderem ausgelöst worden durch extreme Wetterereignisse und geänderte Ernährungsgewohnheiten in den Schwellenländern.

„Die Biokraftstoffproduktion oder die Spekulation mit agrarischen Rohstoffen können nicht als Gründe für den Hunger in der Welt herhalten. Solche Behauptungen verfehlen den Kern von Ursache und Wirkung in der Diskussion und führen deshalb in die Irre“, sagte Schmitz.

„Wir sind davon überzeugt, dass die Studie zur Versachlichung der Diskussion beitragen kann. Preisveränderungen auf den Weltagrarmärkten werden durch viele Faktoren beeinflusst. Pauschale Schuldzuweisungen sind hier fehl am Platz“, sagte Stephan Arens, Geschäftsführer der Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (UFOP).

„Für einfache Antworten ist die Frage nach den Ursachen des Hungers zu komplex. Deshalb begrüßen wir es, dass mit der Studie ein differenzierter Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte vorliegt, auf der die weitere Diskussion aufbauen kann“, sagte Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB).

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