Nachhaltigkeitszertifizierung bei Biokraftstoffen – Rechnungshof mahnt EU-Kommission zur Nachbesserung

 

 

Berlin, 29. Juli 2016 – Einen erheblichen Nachbesserungsbedarf in der Überwachung der von der EU-Kommission zugelassenen freiwilligen Zertifizierungssysteme stellte der Europäische Rechnungshof in seinem Bericht fest, den der Hof letzte Woche veröffentlichte. In seiner Auswertung kritisiert der Hof, dass die EU-Kommission nur auf Basis einer „Aktenprüfung“ die Zertifizierungssysteme zulasse, diese dann aber in ihrer tatsächlichen Funktionsweise nicht überwache. Da die EU-Kommission bei der Zulassung es zudem versäumt habe, darauf zu achten, dass die Systeme Beschwerdeverfahren einführen, fehle damit auch der formelle Anlass gegen Verstöße ermitteln zu können.
 
Nach Auffassung der Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (UFOP) zeigt der Bericht an dieser Stelle das grundsätzliche Problem auf, dass die Mitgliedsstaaten lediglich für die Zulassung der Zertifizierungsstellen und für die statistische Erfassung der nachhaltig zertifizierten Biokraftstoffe sind. Sollten bei einem Zertifizierungssystem Mängel bei der Umsetzung festgestellt werden, kann die zuständige Stelle die Anrechnung der Biokraftstoffmenge nicht verweigern. Der Hof kritisierte überdies die mangelhaften, aber von der EU-Kommission zugelassenen Überprüfungsverfahren für die Herstellung von Biokraftstoffen aus Abfällen, die doppelt auf die Quotenverpflichtung angerechnet werden können. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Billigung einer mangelnden Kontrollqualität durch die Zertifizierungssysteme. Das Ergebnis sind erhebliche Wettbewerbsverzerrungen und Verwerfungen im Biodieselmarkt, stellt die UFOP fest. Erst auf Druck der europäischen Biodieselindustrie veröffentlichte die EU-Kommission, so der Hof, eine allerdings nicht rechtsverbindliche Mitteilung an die Systeme, die Rückverfolgung von Abfallrohstoffen bis in die Ursprungsländer zu verbessern. Angesichts von mehr als 0,5 Mio. Tonnen Biodiesel auf Basis von Abfallöl, die allein in Deutschland 2014 (Quelle: Evaluationsbericht der BLE) auf die energetische Quotenverpflichtung angerechnet wurden, hinterfragt die UFOP, woher diese Abfallölmengen kommen können. Hierzu stellte der Hof ebenso kritisch fest, dass die statistische Erfassung durch die Mitgliedsstaaten unzureichend und es folglich zweifelhaft sei, ob das Ziel 10 Prozent erneuerbare Energien in 2020 statistisch nachweisbar erreicht werden könne.
 
Grundsätzlich befürwortet die UFOP die Nachhaltigkeitszertifizierung auf Basis freiwilliger Systeme, weil damit die betroffenen Wirtschaftskreise stufenübergreifend bei der Festlegung der Prüfkriterien Verantwortung übernehmen und diese, gemessen an den rechtlichen Vorgaben der Erneuerbare Energien-Richtlinie, auch operativ umsetzen müssen. Der EU-Kommission falle dabei die Aufgabe zu durch eine entsprechende Systemüberwachung sicherzustellen, dass keine Verwerfungen bzw. Wettbewerbsverzerrungen durch ein „Systemhopping“ der zu zertifizierenden Unternehmen entstehen. Die EU-Kommission und auch die Politik müssen, so die UFOP, an dieser Stelle anerkennen, dass die Systeme auf Rechtsgrundlage einer europäischen Richtlinie Nachhaltigkeitsanforderungen auch in Drittstaaten durchsetzen können, wenn die Biomasserohstoffe oder daraus hergestellte Biokraftstoffe für die schließlich finale Zweckbestimmung zur Anrechnung auf Quotenverpflichtungen in die EU exportiert werden. Vor diesem Hintergrund ist die Kritik des Hofes an die EU-Kommission berechtigt, dass die Mindestanforderungen an die Sozialstandards nicht von allen Systemen ausreichend beachten werden mit der Folge, dass zu zertifizierende Unternehmen in ein System mit geringerem Anforderungsniveau wechseln können. Die UFOP bedauert, dass die EU-Kommission im Sinne der Schaffung eines „level-playing-fields“ hier die Anforderung nicht verschärfe. Sozial- und Umweltdumping dürfen nicht durch eine Nachhaltigkeitszertifizierung kaschiert werden, vielmehr müsste in dem jetzt laufenden Wiederzulassungsverfahren in diesem Sinne die Systemanforderungen an den best-practise-Beispielen ausgerichtet werden, fordert die UFOP. Unter Hinweis auf den jährlich von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) vorzulegenden Evaluationsbericht als ein Beispiel für eine transparente Dokumentation, mahnt die UFOP an, dass im Sinne der öffentlichen Akzeptanzverbesserung eine analoge Berichterstattung in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden muss. Diese Form und Qualität der Berichterstattung sei außerdem beispielgebend für die Berichterstattung für die gesamte Bioökonomie zur stofflichen bzw. energetischen Nutzung von Biomasse, betont der Verband. Im Lichte der im Dezember 2015 in Paris vereinbarten und nunmehr völkerrechtlich verankerten Klimaschutzziele bedarf es dieser Qualität der Implementierung, um schließlich auch Treibhausgasminderungseffekte berechnen bzw. mengenmäßig nachweisen zu können.
 
Zur „iLUC“-Kritik des Hofes schließt sich die UFOP aber nachdrücklich der auch in dem Bericht veröffentlichten Antwort der EU-Kommission an. Indirekte Landnutzungsänderungen können nicht Gegenstand der Überprüfung durch Systeme bzw. Zertifizierungsstellen sein. Hier muss der Hof einsehen, dass es aus methodischen Gründen heute und in Zukunft nicht möglich sein wird, einer bestimmten nachhaltig zertifizierten Rapsölmethylestermenge eine ebenso bestimmte Urwaldrodung für die Palmölproduktion zuzuordnen. Eine Zertifizierung orientiert sich an Fakten, die überprüfbar sind – eine Zertifizierung „spekuliert oder interpretiert“ nicht, unterstreicht die UFOP.
 
Der Bericht des Europäischen Rechnungshofes steht Ihnen in Deutsch und Englisch zum Download zur Verfügung.