Herkunft von phänotypisch stark abweichenden Durchwuchsraps

Autoren:


Jonas Klemm und Prof. Dr. Christian Jung
Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Kiel

 

Dr. Wolfgang Sauermann
Kiel

 

Erstauflage 2018

 

Zum Download

 

 

Einleitung

Auf zahlreichen Rapsschlägen in Schleswig-Holstein treten seit einigen Jahren zunehmend Durchwuchspflanzen auf, die von ihrem Erscheinungsbild her stark von den Pflanzen der angebauten Sorten abweichen. Die Unterschiede bestehen hauptsächlich in der Pflanzenlänge und in der erheblich späteren Blüte und Abreife. Diese extremen Durchwuchspflanzen überragen den Rapsbestand deutlich. Durch ihre spätere Blüte und vor allem durch die spätere Abreife behindern sie die gleichmäßige Abreife des Bestandes und fuhren vielfach zu Erschwernissen bei der Ernte. Oft genug müssen Bestände, die einen sehr starken Besatz aufweisen, vor der Ernte abgetötet werden. Zudem durften auch Ertragseinbußen auftreten. Vom Habitus her und von ihrer Blattentwicklung erinnern viele dieser Pflanzen an Futterraps und nicht an Körnerraps.

Auf großen Rapsschlägen sind oftmals nur Teilflächen von extremem Durchwuchs betroffen, die sich in vielen Fällen klar räumlich abgrenzen lassen. Die heutigen Bewirtschafter haben mehrfach erklärt, dass in diesem Phänomen alte Bewirtschaftungsgrenzen erkennbar werden. Die betreffenden Teilflächen haben früher zu mehreren Betrieben oder zu verschiedenen Schlägen gehört. Dieses ist ein Indiz dafür, dass der extreme Durchwuchs seinen Ursprung in der Rapsanbau-Geschichte der Schläge haben könnte und weniger in dem Anbau aktueller Sorten. Der mutmaßlich letztmalige Anbau von Futterraps auf diesen Flächen liegt so lange zurück, dass die heutigen Bewirtschafter keine Kenntnis darüber haben. Die betroffenen Betriebe fuhren bereits eine sehr intensive Stoppelbearbeitung durch. Dennoch scheint das Problem nicht kleiner, sondern von Jahr zu Jahr eher größer zu werden.

Das Auftreten dieses stark abweichenden Durchwuchses hat zu intensiven Diskussionen über seine Herkunft geführt. So wurde vor allem behauptet, dass der extreme Durchwuchs aus der Aufspaltung von F1 -Hybridsorten herrührt. Durchwuchs, der unmittelbar aus der F1 -Hybride entsteht, entspricht der F2 -Generation. In dieser Generation kommt es naturgemäß zu Aufspaltungen, sodass diese Pflanzen eine breite phänotypische Varianz aufweisen können. Auch in den darauf folgenden Generationen können weitere Aufspaltungen stattfinden, wenn auch in geringerem Ausmaß als in der F2.

Eine andere Hypothese war, dass der stark abweichende Durchwuchs von alten Körnerraps- und Futterrapssorten abstammt, welche vor sehr langer Zeit angebaut worden sind. Dafür sprachen erste Ergebnisse zur Qualität im Erntegut solcher Pflanzen aus einigen Untersuchungen aus 2013 und 2014 wie auch ihr Erscheinungsbild. Im Erntegut waren hohe Erucasäure- und GSL-Gehalte gemessen worden.

Tab1.png

Klärung durch den „genetischen Fingerabdruck“

Die Frage der Abstammung der extremen Durchwuchspflanzen wurde an Pflanzenmaterial bearbeitet, welches im Frühjahr 2015 aus Praxisschlägen gewonnen wurde. Dazu wurden auf 23 Schlägen gegen Ende der Blüte Blattproben sowohl von extremen Durchwuchspflanzen wie auch von Pflanzen, die einen normalen Phänotyp hatten, entnommen. Je Schlag wurden 10 phänotypisch stark abweichende Durchwuchspflanzen und 5 phänotypisch normale Pflanzen beprobt. Die normalen Pflanzen können dabei aus der angebauten Sorte oder aus normalwüchsigem Durchwuchs stammen. Aus zwei Schlägen waren bereits 2014 extreme Durchwuchspflanzen geerntet und deren Nachkommenschaft 2015 in Beobachtungsparzellen angebaut worden. Aus ihnen wurden je 10 Pflanzen beprobt. Zum Vergleich sind auch Pflanzen aus „definiertem“ Durchwuchs aus zwei F2-en beprobt worden. Die Untersuchungen sind arbeits- und kostenintensiv, so dass nicht alle beprobten Pflanzen bearbeitet werden konnten. Aus den Praxisschlägen wurden je 2 Normal und je 6 extreme Durchwuchstypen untersucht. In Tabelle 1 sind die Rapsschläge mit den angebauten Sorten, die Anzahl der beprobten und untersuchten Pflanzen sowie die mittlere Pflanzenlänge der beprobten Pflanzen dargestellt. Die stark abweichenden Durchwuchspflanzen waren im Mittel rund 60 cm länger als die normalen Pflanzen.

Als Referenzsorten wurden 98 Winterrapssorten, bei denen es sich im Wesentlichen um Körnerrapse, aber auch um Futterrapse gehandelt hat, im Gewächshaus angezogen und ebenfalls über Blattmuster beprobt. Das Saatgut dieser Sorten wurde über die Genbank des IPK Gatersleben oder direkt von den Züchterhäusern bereitgestellt. Es handelt sich um Sorten, die seit Anfang der 1970er Jahre in Schleswig-Holstein angebaut wurden. Darin enthalten sind die bis 1974 im Anbau befindlichen ++-Körnerrapssorten, die hohe Erucasäuregehalte und hohe GSL-Gehalte im Samen hatten. Es folgen zahlreiche 0-Sorten, und darauf die später angebauten 00-Sorten, darunter sowohl Liniensorten als auch Hybridsorten. Ähnlich sieht es bei den Futterrapssorten aus. Eine Übersicht über die Anzahl der verwendeten Referenzsorten mit Angaben zum Sortentyp, zu ihrer Qualität und zu den Zulassungsjahren gibt die Tabelle 2. Bei allen Sorten handelt es sich um Winterformen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass von rund 100 weiteren Sorten, die infrage gekommen sind und angefragt wurden, kein Saatgut mehr verfügbar war.

Tab2.png

Zeitnah zur Mähdruschernte wurden aus den Praxisschlägen jeweils 5 normalwüchsige Pflanzen und 10 extreme Durchwuchspflanzen beerntet. Sie wurden schonend getrocknet und einzeln ausgedroschen. Am Erntegut wurde der Erucasäuregehalt mit Gaschromatographie an Ramschen aller Durchwuchspflanzen bzw. aller Normaltypen bestimmt. Der GSL-Gehalt wurde an allen geernteten Einzelpflanzen mit NIRS bestimmt. Ab Januar 2016 wurden an diesem Erntegut zusätzlich Untersuchungen zur Ausbildung einer sekundären Dormanz durchgeführt. Dazu wurden ebenfalls Ramsche aus den Durchwuchspflanzen bzw. den Normaltypen eines Schlages erstellt.

Bei der Entnahme des Blattmaterials wurden die Einzelpflanzen nicht markiert. Die Pflanzen standen in großen Rapsbeständen, und es wäre nicht möglich gewesen, diese Pflanzen zeitnah zur Ernte wiederzufinden und für die Entnahme des Erntegutes zu verwenden. Insofern stammen die Proben des Blattmaterials für die Genomuntersuchungen und die Proben des Samenmaterials für die Qualitätsuntersuchungen nicht von denselben Pflanzen, was sicherlich wünschenswert gewesen wäre, aber nicht praktikabel war.

Die Zuordnung der Pflanzen zum normalen oder zum stark abweichenden Pflanzentyp erfolgte nach subjektiver Einschätzung im Feld. Sowohl bei der Entnahme der Blattproben als auch bei der Ernte der Einzelpflanzen war es leider nicht möglich, dass diese Arbeiten vom gleichen Personalbestand durchgeführt wurden. Daher sind unterschiedliche Beurteilungen der Pflanzen nicht voll auszuschließen.

An dem Standort, auf dem die von zwei Versuchsfeldern gewonnenen F2-Populationen angebaut worden waren, traten keine extremen Durchwuchspflanzen auf. Aus zwei F2-Populationen wurden jeweils 10-Pflanzen beprobt, welche somit definiertem Durchwuchs der ersten Generation nach dem Anbau einer F1-Hybride entsprechen.

Die Pflanzen wurden mit zwei verschiedenen molekularen Markersystemen untersucht, mit denen 18 Mikrosatelliten- (Simple Sequence Repeats, SSR) und 56 AFLP (Amplified Fragment Lenght Polymorphism) Loci genotypisiert wurden. Die Summe der nachgewiesenen Allele wird als genetischer Fingerabdruck bezeichnet und dient zur Bestimmung der genetischen Ähnlichkeit.

Ergebnisse der Genomuntersuchungen

Die Verteilung der Pflanzen in Gruppen ist in Abbildung 1 dargestellt. Die Grafik in der linken unteren Ecke der Abbildung zeigt die Anzahl der PCs (Principal Components), die für die DAPC (Discriminant Analysis of Principal Components) genutzt wurden, und welchen Anteil der Gesamtvariation sie erklären. In der rechten unteren Ecke der Abbildung ist die Anzahl der Eigenwerte der DAPC dargestellt, die genutzt wurden. In der Mitte der Abbildung sind die einzelnen Pflanzen in Abhängigkeit ihrer Gruppenzugehörigkeit abgebildet. Dabei entspricht die Entfernung zwischen den Gruppen der genetischen Ähnlichkeit bzw. Abweichung der Gruppen untereinander. Insgesamt konnten 5 Gruppen gebildet werden.

Abb1.png

Die Gruppen 3 und 5 auf der rechten Seite der Abbildung liegen nahe beieinander, was auf genetisch ähnliche Pflanzen in den Gruppen schließen lässt. Auf der linken Seite der Abbildung befinden sich die Gruppen 1 und 4, welche nur eine geringe Ähnlichkeit aufweisen, jedoch von den Gruppen 3 und 5 weit entfernt liegen und damit zu diesen Gruppen wenig verwandt sind. Die Gruppe 2 liegt in der Mitte der Abbildung und weist damit auf Pflanzenmaterial hin, welches Ähnlichkeiten zu allen übrigen Gruppen besitzt.

Nachdem die grafische Darstellung der Gruppen schon erste Hinweise auf die genetische Ähnlichkeit lieferte, konnte die Zuordnung der Pflanzenproben von den Praxisbeständen zu den Referenzsorten Hinweise auf die Herkunft des extremen Durchwuchses geben. Eine Übersicht über die Verteilung des untersuchten Pflanzenmaterials zeigt Tabelle 3.

Tab3.png

Die Anzahl der Pflanzen einschließlich der Referenzsorten in den jeweiligen Gruppen variiert zwischen 37 in Gruppe 3 und 69 in Gruppe 5. Der Anteil der Pflanzen, die zu einer der fünf Gruppen zugeordnet werden konnten, beträgt 85 %.

Gruppe 1 enthält von den Referenzsorten nur die Futterrapssorte Akela. Sie wurde 1969 zugelassen und weist eine ++-Qualität auf. Zu dieser Referenzsorte gruppieren 60 extreme Durchwuchstypen. Sie entsprechen 40,5 % aller Durchwuchspflanzen. In Gruppe 4 befinden sich von den Referenzsorten ebenfalls ausschließlich Futterrapse. Dazu gruppieren 42 Pflanzen des Durchwuchstyps (28,4 %). Die Normaltypen, die zu Gruppe 4 zugeordnet wurden, stammen vom Praxisschlag 12.

Den Gruppen 3 und 5, die mit den Gruppen 1 und 4 nur entfernt verwandt sind, sind von den Referenzsorten ausschließlich Hybrid- und Liniensorten mit 00-Qualität zugeordnet worden. Damit befinden sich alle Hybridsorten, die zugeordnet werden konnten, in diesen beiden Gruppen. Ähnliches gilt für die 00-Liniensorten. Zu diesen Referenzsorten gruppieren vor allem die Normaltypen der Praxisbestände. Allein Gruppe 5 vereinigt mit 30 Pflanzen entsprechend 65,2 % aller Normaltypen. Zu diesen beiden Gruppen lassen sich auch alle Rapspflanzen der beiden definierten F2-Populationen zuordnen. Von den sieben Durchwuchstypen, die Gruppe 5 zugeordnet wurden, stammen sechs vom Praxisschlag 12.

Die Gruppe 2, welche sich in der grafischen Darstellung in der Mitte zwischen den vier anderen Gruppen befindet, enthält überwiegend Körnerrapse und Futterrapse mit ++- und 0-Qualität, also fast ausschließlich Referenzsorten mit hohen GSL-Gehalten. Dabei sind alle Referenzgruppen bis auf die Hybridsorten vertreten. Dazu gruppieren von den Praxisschlägen nur Durchwuchstypen. Die Gruppe 2 repräsentiert dadurch eine Mischung aus den übrigen vier Gruppen, bezogen auf die Referenzsorten, und erklärt dadurch die mittlere Position in der grafischen Darstellung.

In der Summe lassen sich 81,1 % der extremen Durchwuchspflanzen den Referenzsorten der drei Gruppen 1, 4 und 2 zuordnen, die entweder noch hohe Erucasäuregehalte, in jedem Fall aber hohe GSL-Gehalte haben und somit älteren Datums sind.

Abb2.png

Qualität und sekundäre Dormanz

Der Erucasäuregehalt im Erntegut lag bei den Durchwuchstypen im Mittel bei 30,7 % (Median: 32,4 %) und bei den Normaltypen bei 6,0 % (Median: 0,7 %) (Abbildung 2A). Die Werte bei den Durchwuchstypen liegen somit deutlich über dem Grenzwert von 5 % für 00-Qualität. Der GSL-Gehalt liegt im Mittel der Durchwuchstypen bei 66,5 μmol/g und bei den Normaltypen bei 23,1 μmol/g (Abbildung 2B). Der Grenzwert für 00-Qualität für den GSL-Gehalt von 18 μmol/g wird von der Mehrzahl der extremen Durchwuchspflanzen deutlich überschritten.

Die Werte für beide Qualitätsparameter bestätigen damit die Ergebnisse der Genomuntersuchungen. Die erhöhten Gehalte an Erucasäure wie an Glucosinolaten sprechen für eine Abstammung dieser Pflanzen von alten Sorten, seien es Körnerrapse oder Futterrapse. Dass es auch bei den Normaltypen einzelne Pflanzen mit erhöhten Gehalten gab, könnte daran liegen, dass es in den Jahrzehnten nach der Umstellung auf Qualitätsraps zu Kreuzungen zwischen Durchwuchs in alter Qualität mit den Pflanzen der jeweils angebauten 00-Sorte gekommen ist. Aus diesen Kreuzungen können auch Durchwuchspflanzen entstehen, die einen normalen Wuchstyp haben, aber in der Qualität den alten Elternsorten ähneln. Ein weiterer Grund für das Auftreten solcher Pflanzen in diesen Untersuchungen kann in der subjektiven Zuordnung der Pflanzen im Feld zu den beiden Wuchstypen liegen.

Aus den Praxisbeständen wurde jeweils ein Druschmuster aus einer Teilfläche, die besonders starken Besatz mit extremen Durchwuchs hatten, auf Qualität untersucht. Dabei haben sich die Ergebnisse der Untersuchungen an den Einzelpflanzen bestätigt. Es standen Druschmuster von 21 Schlägen zur Verfügung. Davon haben nur 3 Druschmuster die Anforderungen an eine vermarktungsfähige 00-Qualität erfüllt.

Die Bestimmung der sekundären Dormanz zeigt, dass der stark abweichende Durchwuchsraps deutlich stärker zur Ausprägung der sekundären Dormanz tendiert (Abbildung 2C). Den Daten liegt jedoch keine statistische Signifikanz zugrunde. Der Anteil sekundär dormanter Samen liegt bei den Durchwuchstypen bei 31,6 % und bei den Normaltypen bei 21,5 %. Dabei reicht die Spannweit bei den Durchwuchstypen von 2,6 % bis 63,3 % und bei den Normaltypen von 0,0 % bis 59,7 %. Allerdings konnten die Untersuchungen aus organisatorischen Gründen erst sechs Monate nach der Ernte begonnen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Ergebnisse dadurch kleinen Abweichungen unterliegen im Vergleich zu Untersuchungen, die unmittelbar nach der Ernte eingesetzt hätten.

Besprechung der Ergebnisse

Die extremen Durchwuchstypen lassen sich durch ihren genetischen Fingerabruck klar von den Normaltypen unterscheiden. Ein weiteres Indiz dafür ist der Heterozygotiegrad. Dieser ist in den Referenz-Hybridsorten ähnlich hoch wie in den Normaltypen, was darauf hinweist, dass die Auswahl der Pflanzen im Wesentlichen korrekt war. Klare Unterschiede gibt es auch zwischen modernen und älteren Rapssorten. Die Gruppen 3 und 5 enthalten dabei neben den modernen Rapssorten mit 00-Qualität auch die Mehrzahl an „normalen“ Pflanzen, sowie auch den „definierten Durchwuchs“, welcher aus dem gezielten Anbau von F2-Populationen stammt und dem normalen Durchwuchs zuzuordnen ist. Von den sieben extremen Durchwuchstypen in Gruppe 5 stammen sechs Pflanzen von Praxisschlag 12, bei dem die Unterscheidung zwischen extremen Durchwuchs- und Normaltypen schwieriger war als bei den anderen Schlägen. Dies dürfte eine Erklärung dafür sein, warum diese sechs Durchwuchstypen dort gruppieren.

Sollte die Hypothese zutreffen, dass der extreme Durchwuchs aus aufspaltenden Nachkommenschaften von Hybridsorten besteht, müsste dieser mit den modernen Hybridsorten gruppieren. Des Weiteren sollte auch der Heterozygotiegrad vom extremen Durchwuchs nicht stark vom Heterozygotiegrad der Hybridsorten abweichen. Dies ist in beiden Fällen jedoch nicht gegeben. Da dieses nicht der Fall ist, kann diese Hypothese verworfen werden. Die Ergebnisse der Berechnungen zur genetischen Distanz unterstützen vielmehr die Hypothese, dass der stark abweichende Durchwuchsraps von alten Sorten, und hier im Besonderen von Futterraps, abstammt. Sie wird durch die hohen Erucasäure- und GSL-Gehalte der extremen Durchwuchspflanzen bekräftigt.

Die Ergebnisse zeigen ferner, dass aus diesem Durchwuchs ein Problem für die Produktion von 00-Raps entstanden ist. Das bestätigen auch Ergebnisse früherer Untersuchungen mit Durchwuchsraps, der von aktuellen F1-Hybriden abstammte, und in dem keine phänotypisch stark abweichenden Durchwuchspflanzen auftraten.

Schlussfolgerungen

Die Anbaumaßnahmen müssen darauf ausgerichtet werden, nach dem Rapsanbau den Eintrag solcher Samen in den Bodenvorrat zu verringern und beim nächsten Rapsanbau den Besatz mit diesen Durchwuchspflanzen deutlich zu reduzieren. Der Bodenvorrat muss ausgehagert werden. Grundsätzlich kommen auch Möglichkeiten einer Bekämpfung des extremen Durchwuchses im Körnerraps infrage. Auf einigen Schlägen wird Raps bereits im weiten Reihenabstand ausgesät, und der Durchwuchsraps wird über die Maschinenhacke bekämpft. Eine andere Möglichkeit bietet der Anbau von Clearfield-Raps. Durch den Einsatz der Imazamox haltigen Herbizide würde der Durchwuchsraps bekämpft werden. Dabei ist aber zu beachten, dass es dann in der Fruchtfolge zu Imazamoxtolerantem Ausfallraps kommt, welcher in anderen Früchten Probleme bereiten kann. Grundsätzlich besteht jedoch die große Gefahr, dass bei starkem Besatz mit diesem extremen Durchwuchs eine Ernte erzeugt wird, welche die Anforderungen des Marktes an die 00-Qualität nicht erfüllt. Vor diesem Hintergrund ist die Frage des Anbaus von Clearfield Raps in der Gesamtheit der Problematik abzuwägen. Er könnte eine vermarktungsfähige 00-Qualität sicherstellen, brächte jedoch unter Umständen Probleme an anderer Stelle

Beim Anbau von Futterraps oder von Zwischenfruchtmischungen, die Futterraps enthalten, zum Beispiel im Rahmen des Greenings, sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass nur 00-Futterrapssorten verwendet werden! Zur gesamten Problematik zur Bereinigung dieses Durchwuchses sei auf die Empfehlungen der Beratung vor Ort verwiesen.

Entwicklung der Population aus extremen Durchwuchs

6 – 10 Jahre nach der Umstellung des Rapsanbaus auf erucasäurefreie Sorten zur Aussaat 1974 lag die Qualität der Rapsernte in Schleswig-Holstein im Erucasäuregehalt bei unter 2 %. Ähnlich war es mit den GSL-Gehalten nach der 1986 erfolgten Umstellung auf 00-Raps. Woher kommen dann also wieder Pflanzen mit erhöhten Gehalten an Erucasäure und/oder Glucosinolaten?

Es ist nicht zu erwarten, dass Rapssamen aus diesen alten Futterrapsen mehrere Jahrzehnte im Bodenvorrat überlebt haben und erst vor einigen Jahren aufgelaufen sind. Vielmehr könnte es so sein, dass beim Anbau des Futterrapses einzelne Samen zunächst nicht gekeimt haben und in den Bodenvorrat gelangt sind. Dies könnte ein Ausdruck der sekundären Dormanz dieser Samen sein. Sie könnten dann später gekeimt haben, und sofern Körnerraps angebaut wurde, standen sie als sehr vereinzelte Pflanzen im Bestand. Da sie offensichtlich dazu neigen, eine sekundäre Dormanz aufzubauen, haben viele ihrer Samen, die als Ausfallraps bei der Ernte auf dem Boden gelangt sind und bei der Stoppelbearbeitung eingearbeitet wurden, zunächst nicht gekeimt. Insofern ist eine immer größere Anzahl dieser Samen in den Bodenvorrat gelangt und hat sich dort „angereichert“. Auf größeren Rapsschlägen sind zum Teil sehr deutlich abgegrenzt alte Schlaggrenzen am Besatz mit extremen Durchwuchs zu erkennen.

Des Weiteren dürfte es bei jedem Anbau von Körnerraps Kreuzungen zwischen den Pflanzen des Körnerrapses und den Durchwuchs-Pflanzen gegeben haben. Daraus können auch normalwüchsige Durchwuchspflanzen hervorgegangen sein, die im Bestand nicht auffallen, die aber erhöhte Erucasäure- und GSL-Gehalte aufweisen. Das könnte erklären, warum auch unter den normal wüchsigen Pflanzen in den hier vorgestellten Untersuchungen einzelne vorhanden waren, welche diese Qualität aufgewiesen haben. Als weiteres Phänomen kommt hinzu, dass sich das Merkmal der sekundären Dormanz in diesen extremen Durchwuchspflanzen allem Anschein nach manifestiert hat. Es trägt dazu bei, dass sich Ausfallsamen dieser Pflanzen im Bodenvorrat anreichern und auf die üblichen Maßnahmen zur Stoppelbearbeitung nicht reagieren.

Die späten Durchwuchspflanzen blühen um 2 - 3 Wochen länger wie die normalen Pflanzen. Die Samen, die in dieser Zeit entstehen, kommen aus einer Selbstung oder einer Fremdbestäubung gleicher Nachbarpflanzen dieses extremen Pflanzentyps. Dadurch erhalten sich ihre Eigenschaften im Phänotyp, in der Qualität und in der sekundären Dormanz. Auf den Schlägen könnte in den letzten 40 Jahren in gewisser Weise eine „Evolution“ stattgefunden haben, in der sich eine Population aus phänotypisch stark abweichenden Pflanzen mit erhöhten Erucasäure- und GSL-Gehalten und der Neigung zur Ausprägung einer sekundären Dormanz entwickelt hat.

Der vollständige Projektbericht kann unter folgendem Link aufgerufen werden: Herkunft von phänotypisch stark abweichenden Durchwuchsraps.